Die Villa Sant‘ Alberto im Zweiten Weltkrieg (Lisa, 5c)

Im Herbst 2020 verbringe ich vier Tage auf einem prächtigen Anwesen in der Toskana. Der Besitzer, ein älterer Herr namens Alessandro Ghini, erzählt mir von seiner Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg, als die Villa seiner Familie von Nazis besetzt wurde.

Abb. 1: Alessandro Ghini (rechts) zeigt mir die Villa. Eigenes Foto

Die Anfahrt zum Anwesen ist steil und auf beiden Seiten von hohen Zypressen umgeben. Die Strasse ruft Erinnerungen in mir hervor, da ich vor fünf Jahren schon einmal hier gewesen bin. Ich erinnere mich noch vage an eine Geschichte, die uns bei unserem ersten Besuch erzählt worden ist. Allerdings verstand ich damals kein Wort Italienisch. Alessandro Ghini, der heute achtzig Jahre alt ist, erzählt uns alles gerne ein zweites Mal und führt uns auch in der grossen Villa herum.

Taktik der verbrannten Erde

Die Villa in Monteroni d’Arbia ist schon lange in Besitz der Familie Ghini. Monteroni d’Arbia liegt etwas südlich von Siena, zwischen Rom und Florenz. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war Norditalien von Deutschen besetzt, während die Alliierten von Sizilien her nach Norden vordrangen. Hitlers Armeen zogen sich langsam zurück, bauten aber immer wieder Verteidigungslinien auf. Ausserdem nutzten sie die „Taktik der verbrannten Erde“ und plünderten die Bevölkerung aus. Die Familie Ghini war ein Opfer dieser Taktik.

Abb. 2: Zeitschriftensammlung aus dem Zweiten Weltkrieg. Eigenes Foto

1944 suchte eine Einheit von deutschen Soldaten in der Villa Sant‘ Alberto Schutz. Alessandro war gerade mal vier Jahre alt. Seine Familie musste in den nahen Wald fliehen und sich dort beinahe zwei Monate lang verstecken. Auch die Arbeiterfamilien und die Familie der Nachbarn mussten fliehen, sodass es eine ganze Gruppe von Kindern und Erwachsenen gab, die im Wald untertauchen mussten. „Fortunamente, era guigno“, erzählt Alessandro lachend.

 Adolf Gesierich

Einer der deutschen Soldaten war der zwanzigjährige Adolf Gesierich. Er hatte den Auftrag, die Strasse Rom-Florenz zu überwachen. Die Villa lag auf einem Hügel, sodass man einen weiten Ausblick hatte. Alessandro zeigt uns das Fenster, an dem Adolf gestanden ist. „Heute stehen hier grosse Bäume, deshalb sieht man nicht mehr bis zur Strasse. Aber 1944 waren die Bäume noch viel kleiner“, erklärt er.

Abb. 3: Luftaufnahme der Villa in Monteroni d’Arbia. Quelle: Villa Sant‘ Alberto

Eines Tages, als Adolf Gesierich an diesem Fenster stand und mit dem Fernrohr die Strasse beobachtete, entdeckte ihn eine amerikanische Truppe. Einer der Panzer zielte aufs Fenster. „Adolf ist zurückgewichen, bis hier ins Treppenhaus“, sagt Alessandro und zeigt uns die Stelle. „Aber der Schuss war genau und die Granate explodierte hier an der Rückwand des Treppenhauses. Adolf Gesierich war sofort tot.“

Gotenstellung

Nach einer kurzen Recherche im Internet habe ich eine Karte gefunden, auf der man den Feldzug dieser amerikanischen Truppe sehen kann. Die Deutschen wollten verhindern, dass die alliierten Armeen in die Po-Ebene vordringen konnten, und bauten deshalb eine Defensivstellung bei Florenz auf, welche Gotenstellung oder Grüne Linie genannt wird. Dabei wurde die hüglige Landschaft bei Florenz ausgenutzt, um eine möglichst gute Befestigungslinie aufzubauen. Die Alliierten trafen im August 1944 auf die Gotenstellung, also kurz nach Adolf Gesierichs Tod.

Abb. 4: Kriegsverlauf in Italien 1944. Quelle: Wikipedia

Es gelang ihnen lange Zeit nicht, die Gotenstellung zu durchbrechen, trotz mehrfacher Angriffe. Erst im April 1945 brach die Defensive der Deutschen ein.

Adolf Gesierich war der einzige der 30 Soldaten, der in der Villa Sant‘ Alberto starb. Seine Kollegen vergruben ihn im Garten, liessen aber seine Füsse aus der Erde ragen, damit man ihn wiederfinden würde. Viele Jahre später wurde er auf dem Soldatenfriedhof Pomezia in der Nähe von Rom begraben.

Späte deutsch-italienische Versöhnung

2012 erhielt Alessandro einen langen, von Hand geschriebenen Brief. Er stammte von Adolfs jüngerem Bruder, der seine Geschichte zurückverfolgt hatte und auf die Villa Sant‘ Alberto gestossen war. „Sein Brief war mehrere Seiten lang“, erzählt Alessandro. „Ich habe natürlich geantwortet und alles erzählt, was ich wusste.“ Seitdem sind die beiden Familien in Kontakt. Einige von Adolfs Verwandten waren auch schon auf Besuch und sind inzwischen gut mit Alessandro und seiner Frau befreundet.

Abb. 5: Gedenkstein für den deutschen Soldaten. Eigenes Foto

Auf einer Anhöhe neben der Villa hat Alessandro 2015 einen Gedenkstein für den gefallenen Soldaten aufgestellt. Adolfs Familie war davon sehr bewegt.

Vor fünf Jahren, als ich den Gedenkstein entdeckt habe, haben wir Alessandro danach gefragt. Damals hat er die Geschichte nur knapp erzählt und sie hat mir ein wenig Angst eingeflösst. Jetzt bin ich froh, dass ich nochmals nachgefragt und die lange Version gehört habe.

Während des Italienfeldzugs im Zweiten Weltkrieg starben ungefähr 50’000 deutsche Soldaten. Hinter jedem dieser Todesfälle steckt eine Geschichte. Das hier ist eine.

Quellen:

  • Erzählungen von A. Ghini, 11.-14.10.2020
  • C. Silingardi, Alle Spalle della Linea Gotica, Modena 2009
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